Frauen in Führung - Ein Interview mit nilo.health zum Weltfrauentag 2022

Im Interview mit nilo.health beantworte ich Fragen zu den Herausforderungen von Frauen in Führungspositionen, zu Frauen und psychischer Gesundheit sowie zu möglichen Lösungen für das Imposter-Syndrom. Ausgehend von eigenen Erfahrungen und den Erkenntnissen aus unterschiedlichen Coaching-Session erzähle ich, wie Frauen am besten mit unterschiedlichen Erwartungen umgehen können und gebe wertvolle Tipps für Selbstwert und Selbstvertrauen.

nilo.health: Frau Dr. Bergler, Sie unterstützen Führungspersönlichkeiten in ihrer persönlichen und beruflichen Weiterbildungen – beobachten Sie dabei, dass Frauen und Männer mit unterschiedlichen Themen/Herausforderungen konfrontiert sind?

Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen: Nein. Ich glaube, die Themen bei Frauen und Männer sind dieselben: Wie kann ich meine Karriere strategisch angehen? Für was will ich bekannt sein? Was will ich für die Gesellschaft erschaffen? Was sind eigentlich meine Stärken und wie kann ich sie nutzen? All diese Fragen sind bei Männern und Frauen gleichermaßen vorhanden. 

Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings im Umgang mit diesen Themen. Ich sehe oft, dass Männer sich ihrer Ressourcen klarer bewusst sind und diese deutlich aktiver als Frauen nutzen, um mit diesen Themen zurecht zu kommen. 

Was meine ich mit Ressourcen? Männer sind oft stärker vernetzt, sie suchen öfter Bestätigung und holen Feedback ein. Sie haben auch tendenziell weniger ein Problem damit, stolz auf sich und ihre Leistungen zu sein. Sie sind sich ihrer Fähigkeiten deutlich mehr bewusst. Sie sind sich eher gewiss, dass sie ihre Leistungen aus eigener Kraft erreicht haben und weniger das pure Glück für den Erfolg entscheidend war. Das führt dazu, dass Männer häufig den Frauen in zweierlei Hinsicht eine Spur voraus sind: Sie trauen sich deutlich mehr zu und sind zuversichtlicher das zu erreichen, was sie erreichen wollen. Das sind die zwei “Z”, an denen ich mit meinen Kund*innen am häufigsten arbeite: Zutrauen und Zuversicht.

nilo.health: Was raten Sie Frauen, um einen besseren Zugang zu diesen Themen zu finden?

Ich rate ihnen, genau bei den beiden Themen “Zutrauen” und “Zuversicht” anzusetzen: Es ist gleichermaßen wichtig, sich selbst der eigenen Ressourcen und Fähigkeiten bewusst zu werden und einen gewissen Stolz zu entwickeln. Jede darf stolz auf sich sein und sich selbst auch mal sagen “Wow, das habe ich schon geschafft. Toll, wie ich das erreicht habe. Ich kann das richtig gut”. Es ist ebenso wichtig, mit anderen im eigenen Netzwerk in Austausch zu treten und diese Ressourcen aktiv zu nutzen. Sich ein Umfeld aufzubauen, dass einem Zutrauen und Zuversicht ausspricht, kann wie ein Katalysator als Beschleuniger in der eigenen Persönlichkeitsentwicklung wirken. 

nilo.health: Haben Sie sich im Zuge deiner Coachingerfahrung auch mit dem Thema mentale Gesundheit auseinandergesetzt? Ist es ein Thema, das Sie mit Ihren Kund*innen thematisieren?

Mentale Gesundheit im Sinne von “Depression” oder “Burnout” ist selten ein Thema, das aktiv in meinen vergangenen Coaching-Sessions angesprochen wurde. Grauschattierungen sind aber dennoch präsent in Fragestellungen wie “Ich möchte gerne mehr Leichtigkeit im Alltag spüren.” oder “Wie bekomme ich meinen Stress besser gemanagt? Wie kann ich auch mehr Zeit für mich einplanen?”. Gerade in der Pandemie kamen diese Themen viel häufiger zutage. Viele haben gerade jetzt ein starkes Bedürfnis, ihren Stress besser zu managen. 

Stress ist ja bis zu einem gewissen Grad etwas Gutes und gehört zum alltäglichen Leben einfach dazu. Gut gemanagt kann es durchaus positive Effekte haben – viele fühlen sich energetisiert, sie entwickeln sich weiter und wachsen über sich hinaus. Aber wenn er über länger Zeit schlecht oder gar nicht gemanagt wurde, kann Stress zu gravierenden, mentalen Problemen führen. Depressionen und/oder Burnout sind dann häufig die Folge. 

Mich stimmt es oft zuversichtlich, wenn meine Kund*innen proaktiv auf mich zugehen und sagen, sie wollen ihren Stress besser managen lernen. Denn häufig zeigt sich dann in diesem Moment, dass sie noch nicht schwerwiegend an Depressionen oder Burnout leiden. Häufig bemerken sie schon früh erste Indikatoren und reagieren, indem sie sich bei mir in einem weitgehend gesunden Zustand die Hilfe im Stressmanagement holen, den sie brauchen.

nilo.health: Es gibt einige Studien, die zeigen, dass Frauen deutlich öfter unter Burnout zu leiden haben als Männer – woran könnte das aus Ihrer Sicht liegen? Was können wir daran ändern?

Das ist interessant. Mir war nicht bewusst, dass Frauen häufiger unter Burnout leiden. Ich weiß nicht, ob meine Mutmaßungen stimmen, aber ich könnte es mir damit erklären, dass an Frauen tendenziell gesellschaftlich bedingt sehr viele, unterschiedliche Erwartungshaltungen herangetragen werden, denen wir Frauen häufig versuchen gerecht zu werden. Gewisse Glaubenssätze wie  “Ich muss mich beweisen” oder “Ich muss eine tolle Frau, eine tolle Mutter, eine tolle Kollegin sein”, “Ich muss schlank sein”, “Ich muss nett sein” führen viele Frauen in ein Dilemma und lösen oft negativen Stress aus, der sich schlecht managen lässt.

Ein anderer Glaubenssatz, den ich häufig von Frauen im Coaching höre, ist oft auch “Ich muss das alleine schaffen, andere (Frauen) schaffen es ja auch” oder “Nur ich kann das lösen”. Und leider ist das auch ein Glaubenssatz, der ebenfalls häufig innerhalb unserer Gesellschaft bestärkt wird. Ich kann mich zum Beispiel noch gut an die erste Nacht mit meinem ersten Kind im Krankenhaus erinnern: Es hat geschrien und ich hatte einfach keine Ahnung was ich tun sollte. Die Kinderkrankenschwester meinte nur kühl zu mir “Sie sind doch die Mutter - sie müssen wissen, was zu tun ist”. Ich dachte mir in dem Moment “Ich habe dieses Kind auf die Welt gebracht, aber bei der Geburt wurde mir nicht gleichzeitig die Weisheit aller Mütter eingeflößt. Woher soll ich denn auf einmal wissen, was der Grund für das Babyweinen sein könnte?” In dieser Situation hätte ich mehr Unterstützung gebraucht, aber mir wurde suggeriert, andere Frauen kriegen das auch hin, Maria, stell dich nicht so an.

Unrealistische Erwartungshaltungen an Frauen sind oft der Ursprung für das, was einen ersten Schritt näher in Richtung Burnout führt: Der Zwang, den Erwartungen gerecht zu werden und sich beweisen zu müssen. Durch diesen Zwang fangen Frauen – und auch Männer – härter zu arbeiten an und ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Nach und nach kommt der Moment, wo man anfängt, merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag zu legen, z.B. immer schlechter zu schlafen oder leicht reizbar zu sein. Davon irritiert zieht man sich immer mehr zurück und gehen mehr auf Abstand. Schritt für Schritt kommt man so der Depression und dem Burnout näher.

Es ist an der Zeit, dass wir die Erwartungen, die wir an Frauen tagtäglich transportieren – über Medien, über unseren gesellschaftlichen Diskurs, im Arbeitsumfeld – reflektieren und überdenken. Ermutigen wir uns lieber gegenseitig dazu, dass jede*r mit seiner/ihrer Einzigartigkeit ihren eigenen Weg geht und keinem Rechenschaft schuldig ist.

nilo.health: Was macht für Sie eine Unternehmenskultur aus, in der Gleichberechtigung und Diversität gelebt werden?

Eine Unternehmenskultur in der Gleichberechtigung und Diversität gelebt wird, denkt nicht mehr in Schubladen, sondern stellt die Individualität jedes*jeder Einzelnen in den Vordergrund. Ich finde es aktuell spannend, dass wir gerade wenn wir über Diversität und Inklusion nachdenken, häufig dann doch wieder in Schubladen denken: Männer vs. Frauen, mit oder ohne Migrationshintergrund, Menschen aus Akademiker- oder Arbeiterfamilien. Aber eigentlich ist die Quintessenz doch, die Individualität jedes Einzelnen vollständig zu sehen. Ein weißer Mann mit Akademikereltern ist auf seine Art auch individuell und besonders, wie auch eine lesbische Frau mit Migrationshintergrund. 

Jede*r bringt die eigene Individualität mit. Inspirierende Führungspersönlichkeiten erkennen genau diese und wissen diese sehr zu schätzen. Wohlwollend neugierig, mutig und selbstsicher erkennen sie die Stärken einer*eines jeden im Team und geben jeder*jedem ihren benötigten Raum zum wachsen. Denn in einer Unternehmenskultur, in der Gleichberechtigung und Diversität gelebt werden, kann jedes Teammitglied sein authentisches Selbst mit ihren*seinen Stärken und Neigungen einbringen. Niemand wird kleiner oder größer gemacht, als er oder sie ist. Jede*r ist Teil eines großen Ganzen und komplett eingebunden ins Team. Jede*jeder wird gesehen und gleichermaßen wertgeschätzt.

nilo.health: Sie nennen hier einen guten Punkt: Viele Frauen erleben ja auch eine Form des Imposter Syndroms, wenn ihnen implizit das Gefühl gegeben wird, sie wären ja nur die sprichwörtliche “Quotenfrau”. Sobald die Individualität in den Vordergrund rückt, kann diesem Gefühl also auch entgegengewirkt werden?

Ja, absolut. Was ich häufig erlebe ist, dass Frauen – gerade nachdem die Quoten eingeführt wurden – immer wieder damit konfrontiert werden, dass sie gewisse Positionen aufgrund ihres Frauseins und nicht aufgrund ihrer Fähigkeiten bekommen hätten. Es entsteht immer häufiger Neidgefühle im Unternehmen. Wenn man auf die Förderung der Individualität einer*s Jeden beim Aufbau einer Unternehmenskultur setzt, spielen Gefühle wie Neid eine deutlich geringere Rolle. Wenn klar die Stärken und Vorzüge einer*s jeden einzelnen aufgezeigt und kommuniziert werden, sind auch die Gründe für eine eventuelle Beförderung deutlich transparenter und nachvollziehbarer. Die Förderung der Individualität von Männern und Frauen gleichermaßen kann dann ausgleichend wirken.

nilo.health: Was ist der beste Ratschlag, der Ihnen jemals von einer anderen Frau gegeben wurde?

Das ist ganz klar ein Ratschlag von Bettina Orlopp – mittlerweile stellvertretende Vorstandsvorsitzende bei der Commerzbank – den sie mir damals als Partnerin bei McKinsey & Company gegeben hat, als ich selbst als Unternehmensberaterin mit meinem ersten Kind schwanger war: “Over-invest in your support!” Das ist ein Satz, den ich seitdem auch immer wieder weitergebe. Warum? Ich empfand den Rat sehr befreiend: Maria, du musst nicht alles alleine hinkriegen. Was für eine Erleichterung. Dazu kommt noch, dass er mich lehrte, dass sich jedes Investment in Support zu einem späteren Zeitpunkt 10.000 mal mehr auszahlen wird. Und sie hatte damit recht.

Ihr Rat war, für mich und meine Familie ein Netzwerk zu bauen, das doppelt und dreifache Böden hat. Wir haben uns ihren Rat sehr zu Herzen genommen und danach gehandelt, damit ich wieder Vollzeit meine Beraterkarriere weiterverfolgen und zugleich glückliche Mutter und Ehefrau sein konnte. Ich war damals mit vielen kritischen Meinung anderer konfrontiert. Bei vielen in unserem Umfeld stießen wir auf Unverständnis – ich lebte nicht ihre Vorstellung, wie man das Frausein als Mutter leben sollte. Ich höre noch heute eine Mutter aus dem Geburtsvorbereitungskurs fassungslos sagen, als ich erwähnte, dass ich wieder Vollzeit arbeiten gehen will: “Haben sich deine Prioritäten im Leben nicht verändert, jetzt wo du Mutter bist?”. Ja, meine Prioritäten haben sich geändert: Als Mutter wurde es für mich noch viel wichtiger, mich selbst nicht zu vergessen. Nur eine glückliche und zufriedene Maria kann eine gute Mutter und eine liebende Ehefrau sein. Und das ist für mich das einzige, was zählt.

Mein Fazit daraus ist: Sei mutig, mache dich frei von Erwartungshaltungen andere und investiere in Unterstützungsmöglichkeiten wie Haushaltshilfe etc., damit du ausreichend Zeit für dich und deine Liebsten hast.

nilo.health: Welchen Ratschlag würden Sie Frauen in der Arbeitswelt mit auf den Weg geben?

Wenn jemand oder vielleicht sogar mehrere Personen etwas in dir sehen, was du vielleicht (noch) nicht in dir siehst, dann könnte vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit dran sein. 

Wenn sich dann auch noch eine Opportunität bietet: Nutze die Gelegenheit, gehe das Risiko ein und tu’s einfach! Just do it! Vertraue auf deine Stärken und Fähigkeiten – du hast nichts zu verlieren. Im Gegenteil, wie auch immer sich diese Gelegenheit entwickelt, du wirst in jedem Fall um eine wertvolle Erfahrung reicher.

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