"Wir haben verlernt, andere um Hilfe zu bitten" Führungskräfte-Coachin Dr. Maria Bergler über Mental Load

Original erschienen am 17.3.23 auf EMOTION Online, Interview durchgeführt von JESSICA BENJATSCHEK

Wie können wir Karriere machen und gleichzeitig mental gesund bleiben? Dr. Maria Bergler ist Leadership-Trainerin und coacht vor allem weibliche Führungskräfte, weil sie weiß, dass deren Stress- und Erwartungsmanagement anders funktioniert. Worauf wir achten sollten, damit es mit dem Mental Load nicht zu viel wird, sagt sie im Interview. Am 8. Mai ist sie Speakerin beim EMOTION Women's Day.

EMOTION: Maria, was sind typische Fragen und Herausforderungen, mit denen besonders Frauen auf dich zukommen?

Dr. Maria Bergler: Eine Frage, die wirklich viele Frauen umtreibt, ist: "Kann ich das? Kann ich das wirklich?" Oft handelt es sich um Selbstzweifel. Die Frauen stellen sich oft selbst infrage, kennen vielleicht ansatzweise ihre Stärken, sehen sie aber eher als etwas Selbstverständliches an. Hinzu kommt, dass sie häufig einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Sie wollen sich weiterentwickeln, Karriere machen und sich selbst verwirklichen. Gleichzeitig zweifeln sie an ihren Zielen und Plänen, weil sie sich nicht vorstellen können, diese auch zu erreichen.

Woran liegt das?

Das liegt daran, wie wir Frauen in der Vergangenheit sozialisiert wurden. Wir sollen ja brav und fleißig sein, immer schön und adrett, und haben gelernt, uns dementsprechend anzupassen. Genau das fördert auch unser Schulsystem. Die Frauen, mit denen ich arbeite, sind alle relativ gut durch die Schule gekommen und haben verinnerlicht, dass Fleiß, Perfektionismus und Auswendiglernen ihnen Anerkennung und Lob bringen. In der Arbeitswelt hingegen werden Fleiß und Leistung von allen gleichermaßen erwartet. Leistung ist nur ein Hygienekriterium. Um noch weiter voranzukommen, fehlt Frauen häufig eine entscheidende Komponente: Eigensinnigkeit. Dabei geht es darum, dass sie sagen, was sie wirklich wollen und brauchen.

Hast du ein Beispiel, das zeigt, warum wir eigensinniger werden sollten und uns dadurch Stress ersparen?

Niemand kann Gedanken lesen und weiß automatisch, was wir möchten. Wenn wir von anderen erwarten, dass sie unsere Gedanken richtig lesen können, und wir sie deswegen in der Verantwortung sehen, unsere Gedanken zu lesen, dann läuft oft etwas gewaltig schief. Nehmen wir mal das Beispiel, dass eine Kollegin dir von ihrer Schwangerschaft erzählt. Welche Gedankenschlösser entstehen da bei dir? Nicht wenige denken gleich: "Bestimmt wird sie jetzt erst mal ein, zwei Jahre weg sein." Kein hilfreiches Gedankenschloss, oder? Damit Kolleg:innen gar nicht erst anfangen, Gedankenschlösser zu bauen, was wohl am besten für uns wäre, ist es notwendig, zu überlegen, was man selbst will und braucht und sollte genau das offen kommunizieren.

Was macht Mental Load eigentlich aus?

Mental Load entsteht immer, wenn wir uns denken: Wenn ich das nicht tue, tut es keine:r. Wenn wir uns mit diesem Mindset immer mehr aufladen, entsteht immer mehr Stress. Aber bitte nicht falsch verstehen, ein gewisses Stresslevel ist sogar gesund und treibt uns an, nach vorne zu gehen. Ich stelle mir die Anzeige meines Mental Load immer wie ein großes Spektrum vor: Auf der einen Seite ist man gesund und entspannt, auf der anderen Seite steckt man mitten im Burnout. Auf diesem Kontinuum bewegen wir uns immer hin und her.

Gibt es Phasen, die besonders kritisch sind?

Viele Frauen erleben spätestens dann wahnsinnig viel Mental Load, wenn sie Mutter werden. Weil sie noch für jemanden mitdenken und Care-Arbeit immer noch überwiegend an den Frauen hängen bleibt, wenn sie Familie in einem klassischen Sinne gestalten. Dieser Mental Load kann wahnsinnig bereichernd sein und Energie geben. Addieren sich zu viele Kleinigkeiten, kann es schnell zu viel werden: Wenn sich in der Arbeit die Prozesse verändern, auf verschiedensten Kanälen Nachrichten eingehen, man einfach zu viel Input bekommt, das Gefühl hat, man sollte eigentlich auch noch regelmäßig Sport treiben, einen Lehrgang besuchen und sich weiterentwickeln. So entsteht auch da ein bunter Strauß an Erwartungen, denen man gerecht werden will. Das stresst natürlich.

Welche Warnsignale deuten darauf hin, dass der Mental Load zu groß ist?

Es ist gar nicht so leicht, das für sich selbst zu erkennen. Oft spiegeln andere einem, dass etwas nicht stimmt, indem sie etwa fragen: „Hey, was ist denn bei dir gerade los?“ Wer davon irritiert ist und sich denkt: "Aber ich habe doch alles im Griff, es funktioniert doch", sollte genauer hinschauen. Ein weiteres Anzeichen ist, wenn man Werte, die einem immer wichtig waren, jetzt relativiert und meint, dass man keine acht Stunden Schlaf braucht, weil man auch mit sechs Stunden zurechtkommt oder man sich wundert, dass es einem plötzlich gar nichts mehr ausmacht, nicht mehr regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. Diese "Passt schon"-Haltung schränkt den eigenen Spielraum ganz schön ein. Im Grunde manifestieren wir damit, unangenehme Dinge bedingungslos zu akzeptieren. Und wer sich immer mehr zurückzieht, Ruhe braucht, anstatt sich mit Freunden zu treffen, trägt vielleicht auch einen größeren Mental Load mit sich herum, als er oder sie denkt.

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Mental Load: Ein Thema, das Frauen in Führung besonders herausfordert

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“Welche Rolle spielt ethnischer und kultureller Hintergrund bei Leadership?” Im Panel bei der HypoVereinsbank, UniCredit, Deutschland